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Peter Manhal war auf Einladung von Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet von 8. bis 29. Mai 2017 mit

THEATRUM SCULPTURAE

im Paul-Clemen-Museum im Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn zu Gast.

 

Ein Nachwort von Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet:

 

Peter Manhal
Theatrum Sculpturae II

 

Kunst und Körper

 

Peter Manhals Photoinszenierung ‚Theatrum Sculpturae II’ zeichnet sich aus mehreren Gründen als besondere Ausstellung aus: Sie verhandelt mit der menschlichen Figur, Kunst und Körper sowie Akt-Darstellung nicht nur grundlegende Themen der Bildenden Künste, son­dern tut dies auf eine Weise, die mehr meint als ‚nur’ Kunst, wird doch in diesen Bildern auch um ein Menschenbild gerungen.
Zudem stammen die Fotografien von einem Künstler, dem das Thema des menschlichen Körpers schon länger ein existenzielles Anliegen ist. Das Paul Clemen Museum des Kunst­his­torischen Instituts bietet die perfekte Kulisse für die erst­malige Präsentation der Arbeiten zum Thema ‚Theatrum Sculpturae’. Es beherbergt nämlich Repliken (sog. Lehrgipse) von Schlüsselwerken eu­ropäischer Skulptur und Plastik, die belegen, wie sich die Darstellung des menschlichen Körpers allmählich aus der propaganda fide hin zum Aus­loten der eigenen Kunst und zum Entwurf neuer Menschen­bilder emanzipierte, wie es z. B. die Sklaven Michelangelos oder Rodins Denker zeigen.

 

Akt und Theatrum sculpturae: Genese

 

Peter Manhal ist ausgebildeter Maler – ‚akademischer Maler‘, wie man noch heute in Ös­terreich sagt. Bewusst entschied er sich für die Ausbildung in der Sparte Angewandte Kunst, ist aber auch Photograph, war als Gartenarchitekt tätig und praktizierte Bildhauerei. Seit dem Studium faszinieren ihn der menschliche Körper und das Aus­loten des Akt-Themas bzw. der Umgang mit Nacktheit und Leiblichkeit. Charakteristisch für seine Herangehensweise ist, dass er sich für den Körper in dessen Fragilität, Uner­fassbarkeit interessiert. Dessen vielge­stal­tige und bewegliche dreidimensionale Natur entzieht sich ganzheitlicher Wahrnehmung; man kann im­mer nur einige Facetten erhaschen. Selbst den eigenen Körper vermag man in natura und in toto nie ohne Hilfsmittel wahrzunehmen. Mehr als in seiner geschlechtlichen Aus­dif­ferenzierung faszi­niert ihn der Körper als androgynes Gebilde; deshalb sind auf den Fotografien weder Köpfe noch Antlitze sichtbar: Es geht wirklich um den Leib! Indem er sich mit dem Leib als Gestaltungsaufgabe befasst, erinnert Manhal daran, dass der Begriff des ‚Aktes’ ursprünglich vom Konzept des ‚actus’ der Bewegung stammt; die Aktstudie war ur­sprünglich Bewegungsstudie, und die Körper waren entblößt, um besser die Veränderungen des Gerüsts und des Skeletts sowie die Muskelspiele beobachten zu können. Im Vordergrund stand weniger die Nackt­heit als die Unmittelbarkeit der körperlichen Präsenz und die Offen­legung der muskulären ’Mechanik’, das anatomische Wunder der Bewegung. Dass bald da­rauf der Wunsch nach Verständnis der inneren Abläufe aufkam, ist bekannt, auch dass die Künstler noch von den Medizinern Leichen sezierten, um den menschlichen Körper zu verstehen. Die Wissenschaft konnte von der Kunst lernen damals.

 

Darsteller statt Modelle

 

Aus diesem Interesse am Ausdruckspotenzial des menschlichen Körpers als eines unmittel­baren Mediums und Instrumentes entstanden Manhals erste Arbeiten mit Tänzern, die für ihn keine Modelle sondern Darsteller sind; denn was sie ‚vor- und aufführen’, entstammt einem gemeinsamen Konzept, das sie mit ihm zusammen zuvor erarbeitet haben. Es ging dar­um, die Leiber geradezu plastisch skulptural zu einer beweglichen Masse zu komponieren, damit das Ge­schlecht keine Rolle spiele, und die grundsätzlich dreidimensionale Präsenz und gleichzeitige Absenz eines Körpers im Raum zu verdeutlichen. Zugleich fällt es in den Bildern schwer, die einzelne Per­son/Figur aus dem Körperknäuel heraus zu erschließen: Das Individuum wird jeweils in der Masse gleich­sam verwoben und aufgehoben, aber auch ge- und verfangen.

 

‚Correspondances’

 

Zugleich ergaben sich in der Präsentation und Inszenierung in Bonn interessante Korrespondenzen zwischen Manhals Werken und Stücken aus der Sammlung des Paul Clemen Museums, wie jene mit einem Relief Miche­langelos, das an die Vorzeichnungen zur Schlacht von Cascina erinnert, in der sich ebenfalls die Leiber in- und miteinander zu verweben scheinen.

 

New Yorker Tänzer

 

New Yorker Tänzer, die in Wien Manhals Fotografien mit Körperarbeiten gesehen hatten, baten ihn, sie zu photographieren. Es entstanden intensive Gespräche über die Auffassung des Körpers als Material, als Medium, als Instrument, als fragiler Hort, als plastische Herausfor­derung, und erneut kam es zu Kompositionen von Körperknäueln, in denen unterschiedliche Energien gebündelt, gezähmt oder auch erst zur Entfaltung gebracht werden konnten. In Ab­stand von zehn Jahren wurde das Thema wieder virulent, und erneut entstand ein reger kon­zep­tueller Austausch zwischen dem Fotographen und den Darstellern. In diesem Kontext führ­te Manhal nochmals jenen Text Canettis ein, den er in den 1970er Jahren gelesen hatte, nämlich den über ‚Masse und Macht’, und in der Auseinandersetzung mit diesem Text entwi­ckelten sich die Kompositionen der Körper-Massen. Diese Komposi­tionen waren ursprüng­lich als Plakate gedacht, und erst im zweiten Schritt wurden sie für eine Ausstellung in der Schweiz mit den Texten kombiniert. Wie sie im Paul Clemen Museum inszeniert wurden, waren sie noch nie ausgestellt und gese­hen worden. Der Dialog mit den Räumlichkeiten und Werken des Museum ist also eine Premiere. Während dieser Arbeit mit den New Yorker Tänzern, die zunächst als Probe, erste Annä­herung für die geplante Arbeit mit viel mehr Protagonisten gedacht war, ereigneten sich die Anschläge in New York 2011.

 

‚Apokalypso’

 

Die Tänzer waren entsprechend betroffen und mit existenziellen Sorgen be­fasst. Dieser zeitgeschichtliche Einbruch, der zum Abbruch der Arbeit führte, berührte jedoch letztlich den Grund des Jahre lang von Manhal verfolgten Anliegens: Zum Sich-Abarbeiten am Thema Mas­se/Macht/Individuum kam die Assoziation zum ‚Totentanz’ auf, der Zyklus wurde ‚Apo­kalypso’ getauft, und es schloss sich auf schmerzhafte Weise ein Kreis.

Körper/Figur/Skulptur: Aufführung

Es ist ein spannendes Experiment, diese Auseinandersetzung mit Körper/Fi­gur/Modellie­ren, Komponieren mit Körpern im Paul Clemen Museum, das von einem Rodin-Verehrer ge­gründet wurde, mit den Lehr-Gipsen berühmter Skulpturen zu konfrontieren. Anders als Man­hal arbeitete Rodin statt mit Darstellern mit Model­len, meistens mehreren, denen er es verbot, Posen einzunehmen; sie sollten sich ungezwungen bewegen, im Atelier umher gehen, damit er ihre Bewegun­gen im natürlichen Ablauf studieren konnte. Während Rodin also am Erhaschen einer natürlichen Bewegung interessiert war – zuweilen arbeitete er auch mit Tänzerinnen oder Akrobaten, um extreme Haltungen zu erproben – sin die vorliegenden Arbeiten Ergebnis konzeptueller Zusammenarbeit mit dem Photographen und entspringen dem gemeinsamen Erarbeiten der Inhalte Canettis. Die Ausfüh­renden setzen das Konzept um, inszenieren Ge­danken, führen ein konzeptuelles, gestalterisches Theater auf, bilden gleichsam ein le­bendes Gedankenspiel.

 

Akt/Nackt/Ausstellung

 

Die Protagonisten der photgraphischen Bilder Manhals, die Tänzer*innen, sind nackt, aber nicht entblößt; sie sind lebende Akte, durch das Konzept gestaltete ‚reformed bodies’ (the naked and the nude). Sie werden ausgestellt, ausgesetzt: Das englische Wort ‚exhibition’ vermittelt die­sen Aspekt sehr gut; aber vor diesen Bilder dreht sich das Kräfteverhältnis um: Wir fühlen uns ausgesetzt, der Wucht und den Energien dieser Leiber in ihrem Ringen um einen Ort, eine Stel­lung in der Gruppe, der Masse. Wann laufen die Energien zusammen? Wann ste­hen sie im Widerstreit? Den bewussten Dialog zwischen Photographie und Körper, Photogra­phie und Plastik prakti­zierte auch Rodin bereits, dies aber, um seine Skulpturen im Nachhin­ein zu vermitteln. Auch wurden in Aktklassen seit dem 19. Jahrhundert Photographien als Vorlagen eingesetzt, um der dreidimensionalen Ver­fasstheit der sich entziehenden Körper besser Herr zu werden. Was erfasst Photographie eigent­lich?
Dieses Nachdenken über Ortung, das Sich-den-Blicken-Aussetzen, Sich-Zeigen, Gesehen-Werden mutet heute in Zeiten ständigen Photographierens, grassie­render Selfies beinahe his­torisch an. Das Zeitalter der Selfies, die ein Journalist einmal Self-Stalking nannte, in dem man nie näher als auf Armlänge an sich selbst oder Andere heran geht, verändert die Wahr­nehmung des Selbst und des Anderen fundamental. Diese Art der Inszenierung ist ein narzis­tisches Theater am entgegen gesetzten Pol dessen, was Manhal antreibt, dessen fotografische Recherche man als Ausloten des menschlichen Seins bezeichnen kann.

 

Vitrine vs. Ausstellung

 

Um sein Nachdenken über das Verorten des Menschen bei sich selbst und im Blick des Anderen fort zu führen, experimentierte Manhal in Graz mit ‚Standfiguren’ der Gegenwart bzw. lebenden Skulpturen, indem er im Rahmen der Aktion ‚Auslage in Arbeit’ Menschen in einem Schaufenster posierend portraitierte. Eine solche interaktive Performance war er bereit, in Bonn zu wiederholen. In Zusammenarbeit mit dem Modehaus Etscheid, dessen Schaufens­ter zu Bühne und Ausstellungsvitrine wurde, konnte das Experiment der Transforma­tion eines Individuums in der ‚Exposition’ nachvollzogen werden. Am eigenen Leibe konnte man das Thema der Standfigur, der Pose, des Sich-Ausstellens erproben. Wie erlebt man den eigenen Körper in der Situation des Ausgestellt-Seins, der Exhibition? Wer hat die Kontrolle über das Zeigen, das Sehen? Welche Rolle spielen das Display, die Be­leuchtung, die Spiegelungen?
Wie fühlt man sich als ausgestellter Mensch? Ist Ausstellung Entblößung, Reprä­sentation, Inszenierung? Wann bin ich wirklich ich? Wer möchte ich sein? Die meisten heuti­gen Be­trach­ter*innen gehören zur Facebook-Generation: Aber wie oft haben sie darüber nachge­dacht, was es bedeutet, sich selbst darzustellen? Sind sie ein Individuum in der Masse der Fa­cebook Poster und -Liker? Die Kunstgeschichte konfrontiert uns mit einer langen Geschichte des Menschenbildes, von dessen Inszenierungen. Unsere Zeit hingegen penetriert uns unab­läs­sig mit künstlich hergestellten Realitätsversprechen, die so tun, als wären sie dokumenta­risch.

 

Exposition

 

Im zweiten Teil der Ausstellung wurden auch die Bilder präsentiert, die das Expositions-Experiment, das Zur-Schau-Stellen im Schaufenster doku­mentierten, und zwar als Pendant in der Jetztzeit, als performativer Nachvollzug der Fragen, die das Theatrum Sculpturae im Hin­blick auf das Körper- und Menschenbild im All­gemeinen stellte. Die Aktbilder waren analog, diese sind es ebenfalls: Man ist es gar nicht mehr gewohnt, nicht ‚gephotoshopte’ Bilder von Menschen, von sich selbst zu betrachten! Diese Bilder bieten keine ‚alternativen Fakten‘, son­dern sind reale Bilder eines tatsächlich durchgeführten Experiments. Dabei ließ das Erleben dieses Ortes aus anderer Perspektive sowie Gespräche mit der Ge­schäftsführerin des Mode­hauses und der rege Klientelverkehr deutlich werden, dass plötzlich zwei Welten miteinander kommunizierten, die sonst nebeneinander bzw. aneinander vorbei leben. Kunst hat sich als besondere Kommunikationsform bewährt, indem sie andere Dimensionen der Wahrnehmung des Selbst und des Anderen erschloss. So führten Manhals Bilder, die das Wesen des Mensch­seins ergründen, auch dazu, das So- und Dasein der Gegenwart, das Miteinander-Umgehen zu hinterfragen. Durch ihre nachhaltige Wirkung lassen sie die Fragen, ob Fotografie Kunst sei, überflüssig erscheinen.

 

 

 

Ich bedanke mich beim Österreichischen Kulturforum für die Unterstützung.

 

Ausstellung Peter Manhal - Bonn 2017